Wie schmeckt gutes Olivenöl?
Olivenöl: Bei kaum einem anderen Lebensmittel fällt es uns Deutschen so schwer, gute Qualität von schlechter zu unterscheiden. Wie ein gutes Olivenöl schmeckt und warum es diesen Geschmack haben muss, erklärt Euch TRY FOODS Gründer Jörn Gutowski in diesem Artikel.
Der Geschmack von gutem Olivenöl
Ich habe Tränen in den Augen und muss mehrmals husten, so stark kratzt es im Hals. Ich habe gerade einen großen Schluck Olivenöl aus einem kleinen Schnapsbecher mit viel Sauerstoff in meinen Mund gesogen. Ich bin von der Intensität des Geschmacks überrascht und ehrlich gesagt schmeckt es mir nicht. Es ist zu bitter und zu stark. Mein Gegenüber lacht mich an: „This is a very good olive oil!“ - „Aha“, denke ich. „Dann habe ich wohl keine Ahnung, was gut sein soll...“
Diese Szene spielte sich am Stand eines ligurischen Olivenölproduzenten auf der Slow Food Messe in Turin ab. Ich nahm gerade an meiner ersten Olivenölverkostung teil. Als der Produzent mir noch sagte, dass ligurische Olivenöle bekannt für ihren eher milden Geschmack seien, verstehe ich die Welt nicht mehr… Wenn das mild ist, wie muss dann erst ein kräftiges Olivenöl im Hals kratzen…?
Erst später lernte ich, dass ich mir als ungeübten Verkoster zu viel zugetraut hatte. Denn durch das Schlürfen gelangt viel Sauerstoff in den Mund, was dafür sorgt, dass das Aroma des Öls intensiviert wird. Nachdem ich mich nun über mehr als fünf Jahre mehr und mehr an den Geschmack von Olivenölen gewöhnt habe, kann ich nun auch Olivenöle schlürfen, um die volle Aromatik und den Geschmack zu spüren. Ich musste mich aber erstmal geschmacklich herantasten.
Beim Thema Geschmack treffen wir als Nordeuropäer übrigens auf eine Herausforderung: Denn ähnlich wie es in Deutschland den „Weißwurstäquator“ gibt, der Bayern irgendwo am Main vom restlichen Deutschland trennt und uns Deutsche in Weißwurstesser und -nichtesser teilt, so gibt es in Europa historisch auch einen „Olivenöläquator“. Dieser verläuft durch die Alpen. Die Bewohner südlich der Alpen sind die Olivenölländer, alle Länder nördlich sind die Butterkulturen. Wir als Deutsche sind traditionell also an buttrig-milden Geschmack gewöhnt, Olivenöl war den meisten lange fremd. Deshalb kommen die von der Industrie hergestellten und fälschlicherweise als extra nativ bezeichneten Öle dem deutschen Konsumenten mit dem milden Geschmack auch entgegen.
Als ich 2013 überlegte, mich mit TRY FOODS selbstständig zu machen, sprach ich mich mit einigen Experten, um meine Geschäftsidee der Probiersets abklopfen zu lassen. So traf ich mich auch mit der Berliner Journalistin Ursula Heinzelmann. Generell fand sie die Idee durchaus gelungen, riet mir beim Thema Olivenöl aber, Vorsicht walten zu lassen. Ihrer Meinung nach gäbe es nämlich kaum ein anderes Lebensmittel, bei dem der Geschmack der Experten und der deutschen Konsumenten so weit auseinandergehen würde. Die Experten wollen ein bitteres, kräftiges Olivenöl und der durchschnittliche Konsument ein mildes buttriges Olivenöl. Viel weiter kann man nicht auseinanderliegen. Auch Andreas März, Olivenölproduzent und Herausgeber eines Wein- & Olivenölmagazins, schlug in die gleiche Kerbe.
Während unseres Gesprächs in seinem gemütlichen Wohnzimmer in der Toskana wurde er bei diesem Thema besonders leidenschaftlich. Er besteht darauf, dass ein Olivenöl per se nicht mild sein könne, da auch eine frische Olive nicht mild, sondern bitter sei, und es das Ziel eines guten Öls sei, den nativen Geschmack des Produkts zu bewahren. Mit seiner unvergleichlichen Art riet Andreas März mir deshalb folgendes:
„Wir wollen immer alles mild haben, aber mild ist bei Olivenöl ein Zeichen der Zersetzung. Wenn du ein mildes Öl magst, dann kauf besser kein Olivenöl, sondern Butter.“
Zuerst reagierte ich skeptisch darauf, da ich es problematisch fand, dass mir Experten erklären wollen, was „richtig“ schmeckt und was nicht. Genau wie nach meiner Erfahrung bei der Verkostung in Turin dauerte es einige Zeit, bis ich ein besseres Verständnis für Olivenöl entwickelte und nachvollziehen konnte, warum gutes Olivenöl bittere und scharfe Noten besitzt.
Denn neben den Ausführungen von Andreas März spielen die Schärfe und die Bitternoten auch eine wesentliche Rolle bei der oft gepriesenen gesundheitsfördernden Wirkung des Olivenöls. Der gesunde Ruf des Olivenöls basiert neben der Tatsache, dass es einen hohen Anteil an einfach ungesättigten Fettsäuren hat, darauf, dass es einen vergleichsweise hohen Anteil an sekundären Pflanzenstoffen besitzt. Dies sind zum großen Teil Polyphenole (Antioxidantien, die vor u.a. vor Krebs schützen sollen, da sie freie Radikale im Körper einsammeln). Polyphenole schmecken aber an sich bitter/scharf. Also wenn Sie gutes Olivenöl mit gesund gleichsetzen, solltet Ihr ein Öl mit hohem Polyphenolgehalt und somit mit deutlich bitteren Noten aussuchen.
Wie entsteht der Geschmack im Olivenöl?
Um noch besser zu verstehen, wie der Geschmack im Olivenöl entsteht, möchte ich Euch auf einen kleinen wissenschaftlichen Exkurs mitnehmen. Ich habe dadurch selbst ein besseres Verständnis gewinnen können, wie der „Grundgeschmack“ eines nativen Olivenöl extra ist.
Zum größten Teil besteht Olivenöl aus verschiedenen Ölsäuren, die keinen Geschmack besitzen. Beim raffinierten Öl sind es sogar 100%. Bei kaltgepressten, unbehandelten Olivenölen haben wir weitere Inhaltsstoffe, vor allem sekundäre Pflanzenstoffe. Viele von diesen sind flüchtige Aromastoffe, weshalb es auch wichtig ist, dass Olivenöl möglichst wenig Sauerstoff ausgesetzt wird.
Chemische Untersuchungen haben ergeben, dass folgende Aromastoffe besonders häufig in Olivenöl vorkommen (in Klammern stehen die Beschreibungen des Aromas):
- Hexanal (grün, Apfel)
- trans-2-hexenal (bitter, Mandel)
- und 1-hexanol (fruchtig, aromatisch).
Man kann also den Grundgeschmack bzw. den Grundcharakter der meisten Olivenöle mit den Worten: Bittermandel, grüner Apfel, fruchtig und aromatisch beschreiben. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass bei Beschreibungen von Olivenölen besonders häufig diese Begriffe auftauchen.
Die genaue Zusammensetzung und Menge der einzelnen Aromastoffe und damit der Geschmack eines jeden Olivenöls ist aber unterschiedlich. Hierfür sind besonders die Anbauregion und die Olivensorte entscheidend. Wenn man überlegt, dass Schätzungen nach mehr als 800 Olivensorten allein im Mittelmeerraum vorkommen, so kann man sich die geschmackliche Vielfalt vorstellen, die man im Olivenöl finden kann.
Für die Intensität des Geschmacks ist laut einer wissenschaftlichen Studie über die Aromen in Olivenöl von A.K. Kiritsakis besonders der richtige Erntezeitpunkt wichtig. Denn zum optimalen Erntezeitpunkt besitzen die Oliven die höchste Anzahl an Aromastoffen. Dieser Zeitpunkt ist je nach Region und Olivensorte unterschiedlich, aber er liegt normalerweise zwischen Ende Oktober und Ende Dezember. Werden die Oliven also zu diesem Zeitraum geerntet und verarbeitet, erhält man ein besonders aromatisches Olivenöl. Dies konnte ich bei meinen Erfahrungen auf Zypern bei einer frühen Ernte und auf Korfu bei der sehr späten Ernte geschmacklich selbst nachvollziehen. Während das Olivenöl auf Zypern frisch, fruchtig, grün und ein wenig bitter schmeckte, schmeckte es auf Korfu eher buttrig und nussig. Es hatte keine Spuren von Frische und Fruchtigkeit.
Alles bitter oder was?
Damit ein Olivenöl als extra nativ bezeichnet werden kann, muss es eigentlich den geschmacklichen Charakter der Olive widerspiegeln. Es muss also gewisse bittere Noten haben. Vielleicht sagen jetzt einige von Euch: „Aber was ist, wenn ich bittere Lebensmittel einfach nicht mag“?
Zum Glück gibt es auch bei guten Olivenölen nicht nur bittere und scharfe Öle, sondern auch weniger intensive Sorten, die sich besonders für den Einstieg in die Welt des Olivenöls eignen und eher den „Durchschnittsgeschmack“ der Deutschen treffen. Genau wie beim Wein gibt es viele Leute, die mit einem eher leichten und milden Olivenöl beginnen und nach und nach auf intensivere und aromatisch komplexere Öle umsteigen.
Wie finde ich ein gutes Olivenöl, das mir schmeckt?
Geschmack im Olivenöl zu beschreiben, kann auf den ersten Blick einschüchternd wirken, aber keine Sorge: Mit ein bisschen Übung schmeckt Ihr ziemlich schnell, was ein gutes von einem schlechten Olivenöl trennt. Mein Tipp: Probiert jedes gekaufte Olivenöl zu Hause unbedingt pur und wiederholt das mit jedem Einkauf einer neuen Flasche. Denn anders als z.B. Wein probieren die wenigsten von uns Öl pur, aber nur so lässt sich der Geschmack beurteilen.
Am besten ist natürlich eine Reihe von unterschiedlichen Olivenölen nebeneinander zu probieren. Hierfür eignet sich das TRY Olivenöl Set hervorragend. Neben fünf Olivenölproben von qualitativ hochwertigen Produzenten findet Ihr viele Informationen zum Thema Olivenöl im beiliegenden Booklet.
In diesem Sinne, bleibt neugierig!
Euer
Jörn Gutowski
Gründer, TRY FOODS